DSA78 Historische Korrektheit

DSA orientiert hat zu großen Teilen historische Einflüsse. Doch wie sehr sollte man als Spieler und Meister auf eine korrekte Darstellung mittelalterlicher (oder anderer historischer) Verhältnisse achten? Und kann man sein eigenes modernes Denken ablegen um einen Charakter aus einer anderen Zeit zu spielen?

8 Gedanken zu „DSA78 Historische Korrektheit

  1. Zum Mittelalter muss ich mit archäologisch/historischem Hintergrund sagen: Wir haben halt einfach keine Ahnung. Niemand weiß, wie im Früh- und Hochmittelalter (also grob 500-1300 n.chr.) der Bauer wirklich zum Priester stand, was die Leute im privaten dachten, was deren Weltsicht war etc.. Wir haben aus der Zeit wirklich kaum historische Schriftquellen, und alles, was wir an groben gesellschaftlichen Mechanismen in der Zeit wissen, steht in der Forschung jederzeit zur Debatte und kann mit neuen Interpretationen der Quellen oder neuen Entdeckungen widerlegt oder erweitert werden. Ab dem Hochmittelalter sieht’s dann schon besser aus, vor Allem ab dem 15. Jahrhundert sind auch schon genug privatere Schriftstücke erhalten, aus denen man sich ein etwas feineres, aber immernoch sehr grobes Bild der Gesellschaft machen kann. Und dieses Bild spiegelt dann auch fast ausschließlich das Leben der städtischen Oberschicht wieder, die sich in der Zeit eben auch erstmals bildet.
    Viele Dinge und Aspekte sind natürlich auch bekannt und gut erforscht, so herrscht spätestens ab dem 12. Jahrhundert in Europa eine drastische Differenz darin, wie Adelige und „gemeines Volk“ betrachtet werden. Dass der König nicht mit Bauern spricht, und diese sich nicht wagen, ihn anzusprechen, ist in gewisser Weise schon realistisch, aber auch diese Grenze ist fließend. Wie Ritter in der Zeit mit ihren Bauern umgegangen haben, wissen wir schlicht nicht, weil wir keine Quellen haben. Haben sie direkt mit ihnen gesprochen? Hatten sie einen Sprecher? Sind sie vom Pferd gestiegen, wenn sie mit ihnen gesprochen haben, oder standen sie stehts „über ihnen“? Über solche Fragen lassen sich Doktorarbeiten schreiben, und auch dann hat man nur eine mögliche Antwort, die in der Forschung stehts hinterfragt werden kann (willkommen bei den Gesellschaftswissenschaften, Philipp!).
    Das führt alles dazu, dass das öffentliche Bild vom Mittelalter einfach sehr reduziert ist. Was man in Popkultur (und DSA-publikationen) sieht, referiert nicht auf das gesamte Mittelalter, sondern auf das Spätmittelalter (13.-15. jhd) und die Frühe Neuzeit (danach). Den historischen Hintergründen der Kulturen in DSA entsprechend hätten wir in Aventurien eigentlich die gesamte Bandbreite des Mittelalters, vom Frühmittelalter ab 500 n.chr. bis ca. 1700 im Horasreich, aber realistisch finden sich in den Hintergrundbänden eben keine Beschreibungen von hölzernen Motten („burgen“) und Grubenhäusern, und erst recht nicht von frühmittelalterlichen Gesellschaftsstrukturen, weil zu denen sowieso sehr wenig konkretes bekannt ist, und noch weniger aus der akademischen Forschungs-bubble nach außen getragen wird.
    Und keiner kann verlangen, für ein Abenteuer in Thorwal erstmal ein Studium in skandinavistischer Mediävistik abzulegen (und selbst dann hat man immernoch nur ein sehr grobes Bild der tatsächlichen Gesellschaftsstruktur, ich kanns bezeugen).

    Was ich damit sagen will: Selbst wenn man den Rollenspielerischen Sprung in eine andere Zeit machen will, und so historisch wie möglich spielen will, sind die Quellen dazu einfach extrem begrenzt. Das heißt, um die Welt tatsächlich auszufüllen und spielbar zu machen, müssen wir uns sowieso sehr, sehr viel dazudenken. Wir spielen Fantasy, und ob ein weidener Händler, der sich anmaßt, Travia besser zu verstehen als ein Traviageweihter, direkt geächtet wird, lässt sich einfach nicht anhand von historischen Quellen ableiten, also müssen wir uns etwas ausdenken.
    Womit wir wieder beim leidigen Gruppenkonsens sind, aber darauf läufts nunmal hinaus 😀
    (Weiden als Herkunft für den Händler nahm ich als Beispiel für das Hochmittelalter. Für das Spätmittelalter und die frühe Neuzeit ließen sich wahrscheinlicher Quellen darüber finden, wie mit einer Anmaßung eines Bürgers über Glaubensfragen umgegangen wurde, aber eben nicht über die Zeit davor, in der DSA-Kulturen aber zu mindest theoretisch angesiedelt wären.)

    An alle die durchgehalten haben: Danke fürs lesen und danke, Philipp und Florentin, für diesen tollen Podcast!

  2. Pingback: DSA Intime-Podcast zur historischen Korrektheit – Nuntiovolo.de

  3. Vor langer Zeit habe ich mal einen Spieler auf folgende Weise verloren: Die Helden sollten sich irgendwohin einschiffen und gingen zum Hafen. Besagter Spieler war der jüngste Spross einer langen Dynastie von Marineoffizieren. Er hat die Gelegenheit genutzt, einen langen Vortrag zur Schifffahrt im 17. und 18. Jahrhundert, mit deutlichen Hinweisen, dass die SL das zu berücksichtigen hätte. Besonderes Augenmerk lag auf unserer Hexe, die echte Probleme bekommen würde: Eine Frau an Bord, das ginge beim besten Willen nicht.

    Was waren also die ersten Worte, als die Helden am Hafen ankamen?
    „Die Kapitänin heißt euch willkommen.“

    Gerade die aventurische Gleichberechtigung ist das, was jeder historischen Sichtweise auf den Kontinent das Genick bricht. Es ist nicht vergleichbar, da in Aventurien mehrere Randbedingungen vorliegen, die es auf der Erde erst in Industrieländern des späten 20. Jahrhunderts gibt, wie niedrige Kindersterblichkeit und allgemeine Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln.

    Die typische mittelalterliche Bauernfamilie („Meine Frau ist mit 16 Jahren bei der Geburt unseres 7. Kindes verstorben, und von diesen Kindern haben nur 3 das Kindbettfieber überlebt!“), die gibt es in Aventurien nicht. Oder anders gesagt, bei einer solchen Schilderung würden die Helden wahrscheinlich sagen: „Sind die dumm? Wissen die nicht, wie Rahjalieb und Wirselkraut aussehen?“
    Allein schon deshalb würde die Gesellschaft komplett anders aussehen
    (in einer „realistischen“ gesellschaftswissentschaftlichen Betrachtung).

    Die Welt des schwarzen Auges ist halt keine mittelalterliche, sondern eine im 20. Jahrhundert konstruierte Fantasiewelt. Die Vergleichbarkeit ist seeeeehr eingeschränkt.

  4. Vielen Dank Filipp und Phlorentin für einen weiteren äußerst unterhaltsamen Podcast.
    Natürlich habt ihr wenig Ahnung vom Mittelalter im Vergleich zur geballten Macht des behaupteten Wissens der Internetgemeinschaft. Vermutlich könntet ihr einen Podcast über den Inhalt eurer Tagebücher machen und trotzdem würde es Kommentatoren geben, die nach eigener Aussage besser über das Thema bescheid wüssten. Im Gegensatz dazu steht der Kommentar von Tharsonius von Bethana, der sehr schön die Apologie des Sokrates nutzt um euch mit fundierter Information unter die Arme zu greifen. Dem ist vom betrachtenden Standpunkt auch nichts mehr hinzuzufügen. Tragischer Weise würde der gesamte Text innerhalb der Spielwelt unabhängig von dessen Inhalt und Richtigkeit verboten, vernichtet und auf jede Art verfolgt werden und das nur wegen des Autors. Das hat keinen historisch Vergleichbaren Grund, sondern liegt daran, dass Tharsonius von den Scöpfern des Spiels als der Antagonist schlechthin erschaffen wurde. Das wissen alle Bauern, alle Adligen und sogar er selbst und seine Anhänger. Da ist keine historische Korrektheit möglich.
    Apropos Autoren. Ulrich Kiesow war Kunsterzieher, Werner Fuchs Übersetzer und Hans-Joachim Alpers gelernter Schlosser. Keiner der drei hatte ernsthafte historische oder gesellschaftswissenschaftliche Grundsätze die DSA zu Grunde liegen sollten. Die drei haben für Schmidt Spiele eine deutsche Alternative zu D&D erschaffen und sich dafür von Filmen und Büchern verschiedener Genres inspirieren lassen. Gerade dieser historisch nicht greifbare Mix macht die Welt des schwarzen Auges so abwechslungsreich und interessant. Ähnliches gilt auch für die naturwissenschaftliche Betrachtung. Auch hier ist es schlicht nicht zulässig z.B. sich auf reale chemische Prozesse zu berufen. Prominentes Beispiel ist die seit Urzeiten beliebte Schwarzpulverdiskussion.
    Trotzdem kann historische Korrektheit helfen ohne viele Worte eine Situation zu beschreiben. Wer eine Gesellschaft kurz mit „Feudalismus nach den Erläuterungen Voltairs“ benennen kann und alle Spieler bescheid wissen was das sein soll kann sich viele Nachfragen sparen. Meistens helfen Klischees aber mehr, da sie einer größeren Grundgesamtheit bekannt sind. „Wie Rohan bei Herr der Ringe“ sagt den meisten Menschen einfach mehr um eine Ausgangssituation zu beschreiben. Historische Korrektheit hin oder her.

    Viele Grüße

  5. Wenn ein Satz mit „Im Mittelalter“ beginnt, kommt hinten ran meist nur Blödsinn. Wir reden hier über eine Zeitspanne von 1000 Jahren und dazu kommen regionale Unterschiede. Es behauptet ja auch niemand: in der Neuzeit haben die Menschen Computer genutzt. Das trifft auf 85% der Neuzeit nämlich nicht zu.

    Wir spielen also nur ein Klischee des Mittelalters. Das ist auch ganz hilfreich. Das setzt einen Erwartungsrahmen, gerade in Welten, die nicht so überdetailliert sind wie Aventurien. Wenn ich weiß, dass Fäntelalter gespielt wird, weiß ich dass mit Schwertern und nicht mit Maschinengewehren gekämpft wird. Bei Steinschloßpistolen wird es aber wieder schwerer. Da gibt es nicht wenige Spieler, die Feuerwaffen im Fantasy Setting ablehnen, weil ihnen das zu Unmittelalterhaft ist. Auch wenn die meisten Fantasysettings ohnehin mehr an der Renaissance angelehnt sind, als am Mittelalter. Aber es geht eben um diesen Erwartungsrahmen. wenn ich mir eine Welt ausdenke, in der mit Schwert und Schild gekämpft wird, es eine dichtes Dampfeisenbahnnetz gibt und jeder Bewohner ein Mobiltelefon hat, dann muss ich die Welt sehr viel genauer ausarbeiten. Z.B. die Frage, ob es Fernsehen gibt. Wenns Mobilfunk gibt, müsste das ja möglich sein. Gibt es private PKWs? Warum nicht wenn es auch Eisenbahn gibt? In einer Fäntelalter-Welt brauch ich das nicht, denn wenn etwas in der Spielwelt nicht definiert habe, hab ich als Fallback das reale Mittelalter. Und da gab es eben keine PKWs, daher muss DSA auch nicht klarstellen, dass es auf Aventurien keine PKWs gibt. Ob dieser Fallback dann korrekt ist oder nicht, ist eigentlich egal, solange man sich am Tisch einig ist. So werden wohl die wenigsten Spieler annehmen, dass im Mittelalter schon Raketen als Geschoße benutzt wurden (wenn auch in China und nicht in Mitteleuropa) – aber die Setzung: im Mittelalter gab es keine Raketen wird für die meisten Fantasy-Settings funktionieren.

  6. Toll, dass ihr wieder einen Podcast gemacht habt. Spielt ihr eigentlich noch die Borbaradkampagne. Vielleicht macht ihr mal einen Podcast zu den Kampagnen, die ihr gespielt habt.

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